Wissenschaftskommunikation und Interdisziplinarität in der Neurowissenschaft

Die Neurowissenschaft ist per se ein Fachbereich, der durch eine breite Interdisziplinarität gekennzeichnet ist. Ihr Forschungsziel ist das Verständnis des menschlichen Gehirns. Ein Organ, das Mediziner und Philosophen seit Tausenden von Jahren fasziniert. Im Laufe des letzten Jahrhunderts stieg das erlangte Wissen rasant an und verdeutlichte, dass weitere Fachbereiche in die Forschung involviert werden müssen.

 

Neurowissenschaft ist interdisziplinär

 

Das Gehirn ist ein unglaublich komplexes Organ, das die Wissenschaft bis heute noch immer vor Rätsel stellt. Im Körper verarbeitet es alle Eindrücke der Außenwelt, steuert Körperfunktionen und Emotionen. Es gleicht Moralvorstellungen mit dem eigenen Verhalten ab, schmiedet Pläne und bestimmt über unseren vermeintlich freien Willen. Es sorgt dafür, dass wir 3 Sprachen lernen können, aber trotzdem vergessen, Milch zu kaufen. Es bestimmt, wen wir mögen, ob wir religiös sind, ob wir mutig oder albern sind. Unsere komplette Persönlichkeit beruht letzten Endes auf den individuellen biochemischen Vorgängen im Gehirn, einem Komplex aus 100 Milliarden Nervenzellen, die in einem undurchschaubaren Netz miteinander verbunden sind.

 

Und manchmal funktioniert es nicht richtig. Unterschiedliche Verletzungen, Erkrankungen oder Störungen können in all diese Funktionen des Gehirns eingreifen und das Unverständnis der modernen Medizin zur Entstehung oder Behandlung zeigt deutlich, wie wenig das Gehirn noch immer verstanden wird.

 

Um dieses Verständnis von allen wissenschaftlichen Seiten zu verbessern, finden sich Forschungsbereiche aus zahlreichen Disziplinen unter dem Namen „Neurowissenschaft“ zusammen. Hierzu gehören:

  • Medizin

  • Biologie

  • Psychologie

  • Biochemie

  • Physik

  • Informatik

  • Philosophie

Sie gruppieren sich wiederum zu Unterordnungen, die sich mit dem einen oder anderen Aspekt des Gehirns befassen, nur um sich am Ende alle wieder zusammenzufinden und ihre Puzzleteile zu einem großen Gebilde zusammensetzten. Dieses wird dann nach draußen an die Öffentlichkeit getragen, um Wissen zu vermitteln, aufzuklären oder Gelder zu beantragen.

 

Dieses Bild sollte deutlich machen, dass Kommunikation eine außerordentlich große Bedeutung in der Neurowissenschaft hat.

 

Evidenz oder Story?

 

Im November 2020 veröffentlichte ein Team um Michael Blastland im Fachmagazin Nature einen Kommentar, in dem 5 Regeln für eine evidenzbasierte Wissenschaftskommunikation vorgestellt wurden. Diese sollten explizit für gesellschaftlich besonders relevante Themen gelten (z .B. COVD-19 oder Klimawandel) gelten.

 

Die Autoren erklärten die Wichtigkeit des öffentlichen Vertrauens, das nur dann erlangt werden könne, wenn Daten sachlich und neutral vermittelt werden. Dazu gehöre es auch, Konflikte, Unklarheiten und Grenzen der eigenen Erkenntnisse deutlich aufzuzeigen und unmissverständlich zu kommunizieren. Die exakten aufgestellten Regeln lauten wie folgt:

 

  1. Informieren, nicht überzeugen

  2. Ausgewogenheit in der Darstellung von Beweisen

  3. Ungewissheiten offenlegen

  4. Qualität der Daten einordnen

  5. Fehlinformationen vorbeugen

 

Diese aufgestellten Regeln der evidenzbasierten Wissenschaftskommunikation soll sicherstellen, dass die Wissenschaft von dem Rest der Welt bestmöglich verstanden wird. Aber ist das auch tatsächlich so?

 

Mike Schäfer, Professor für Wissenschaftskommunikation und Direktor des Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (CHESS) an der Universität Zürich, legt nahe, dass Regeln in der Kommunikation immer auch an das Publikum angepasst sein müssen. Gerade in der Naturwissenschaft ist das Publikum stark aufgespalten zwischen interessierten Befürwortern und Skeptikern, sowie moderat und wenig interessierten Personen. Bei der Kommunikation von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen mit diesen unterschiedlichen Zielgruppen kann es durchaus Sinn machen, unterschiedliche Kommunikationsstrategien anzuwenden und durch Elemente von Storytelling zu ergänzen. Im Gegensatz zu den Autoren des Kommentars in Nature, sieht Schäfer keine Diskrepanz zwischen Evidenz und Story und plädiert für eine ausgewogene Mischung aus beidem.

 

Storytelling – mit Bedacht

 

Die aufgestellten Regeln zu einer rein evidenzbasierten Kommunikation mögen vielleicht Gültigkeit haben bei Themen, die von sehr großer politischer und gesellschaftlicher Relevanz sind und ein entsprechend breites Publikum ansprechen. Doch, Hand aufs Herz, die meiste neurowissenschaftliche Forschung ist zwar ohne Frage spannend, aber nicht direkt weltbewegend.

 

Gerade im Bereich der Grundlagenforschung, in der es um absolutes Detailwissen geht, spielen Elemente des Storytelling eine wichtige Rolle, um die Thematik für Laien interessant zu gestalten. Eine spannende Geschichte aus der Neurowissenschaft kann sehr fesselnd sein und dem Zuhörer etwas mitgeben. Nur wer es schafft, diese Spannung aufzubauen, kann auch erfolgreich Wissen vermitteln und Geldgeber von der Bewilligung von Drittmitteln überzeugen. Hier gilt es vor allen Dingen Aussichten zu stellen und das Publikum von einer Vision zu überzeugen, wozu diese Forschung in Zukunft einmal nützlich sein kann.

 

Hans Peter Peters, Honorarprofessor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin, gibt zu bedenken, dass Storytelling gerade in der ansonsten eher evidenzbasierten Naturwissenschaft die Gefahr birgt, durch die Story den Themenschwerpunkt bewusst oder unbewusst zu verschieben. Auch wird das Publikum schnell in eine bestimmte Richtung gelenkt, sodass dann keine wirkliche Neutralität besteht. Diese ist eigentlich Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit in der Neurowissenschaft.

 

Hier wird deutlich, dass eine gesunde Mischung aus Evidenz und Story das Mittel der Wahl in der Kommunikation der Neurowissenschaften sein muss. Es gilt durch eine gelungene Story die bestmögliche Wirkung zu erzielen und gleichzeitig durch Evidenz Glaubwürdigkeit zu vermitteln. Wie exakt beide Komponenten abgestimmt sein müssen, hängt dabei zusätzlich stark vom jeweiligen Publikum ab.

 

Klingt etwas kompliziert, oder?

 

Was auf den ersten Eindruck etwas kompliziert daher kommt, ist mit ein paar Tricks und etwas Übung gar nicht so schwer. Wenn Sie erfahren möchtest, wie Sie Ihre wissenschaftlichen Ergebnisse bestmöglich kommunizieren können, dann melden Sie sich einfach bei mir. Machen Sie jetzt einen Termin für eine Kennenlerngespräch und erfahre mehr über Storytelling für Nachwuchswissenschaftler:innen.

 

Autorin: Anna Kollenberg in Kooperation mit Neurowissenschaftler:innen, die anonym bleiben möchten.
Veröffentlicht: 18. Dezember 2022
Photo by Alina Grubnyak on Unsplash

Quellen:  

Blastland, M. et al (2020) Five rules for evidence communication. Nature. 2020 Nov; 587 (7834): 362-364. doi: 10.1038/d41586-020-03189-1. oder https://www.nature.com/articles/d41586-020-03189-1?ref=refind (Abgerufen 5.10.2021)

Schäfer, Mike (2021) Evidenz statt Story? Evidenz und Story! https://www.wissenschaftskommunikation.de/evidenz-statt-story-evidenz-und-story-45133/ (Abgerufen 5.10.2021) 

Peters, Hans Peter (2021) Wahrheit oder Wirkung? https://www.wissenschaftskommunikation.de/wahrheit-oder-wirkung-45041/ (Abgerufen 5.10.2021)

Anna Kollenberg